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Die VUCA-Welt: nur eine Floskel oder zentral für strategische Überlegungen?

In diesem Artikel werden wir das VUCA-Modell untersuchen und jeder der vier Säulen klare Definitionen geben. Danach untersuchen wir zwei sehr unterschiedliche Fallstudien, um zu verstehen, wie viel Impulse Führungskräfte von VUCA aufnehmen sollten.

Robert Mitson
Robert Mitson
VUCA world

Die Geschäftswelt war wohl noch nie so turbulent wie heute. Angesichts globaler Pandemien, negativem Wirtschaftswachstum, geopolitischer Instabilität und kultureller Unruhen sind Führungskräfte stark gefordert, um den zukünftigen und langfristigen Erfolg ihres Unternehmens zu sichern. In schwierigen Zeiten tendieren wir Menschen dazu, Erklärungen für unsere Mängel zu finden, und die Geschäftswelt ist nicht anders. Wenn externe Herausforderungen und Bedrohungen auftauchen, ist die erste Reaktion von Führungskräften häufig, dass sie ihre Positionen und strategischen Entscheidungen verteidigen, um Aktionäre und Stakeholder zu beschwichtigen. In diesen Situationen sind etablierte Strategien und Frameworks wichtig, die Führungskräfte bei der Navigation dieser Umstände unterstützen. Dabei spielt VUCA bei der Diskussion der strategischen Führung eine immer wichtigere Rolle.

Der Begriff "VUCA", ein Akronym für die englischen Begriffe “Volatility”, “Uncertainty”, “Complexity” und “Ambiguity” – zu Deutsch Volatitilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität respektive Mehrdeutigkeit (auf Deutsch also auch unter dem Akronym VUKA-Welt bekannt) – wurde vom US-Militär am Ende des Kalten Krieges geprägt und wird häufig in Zeiten unternehmerischer Notlage verwendet. Die Grundsätze der VUCA-Führung überlappen dabei mit denen der Agilität in Unternehmen und werden zunehmend in den Vordergrund von Strategie und Führung gerückt. Aber was bedeutet VUCA wirklich? Verwenden Führungskräfte das Modell als Erklärung von Problemen, die man aber eigentlich hätte antizipieren und angehen sollen? Und sollten Führungskräfte das VUCA-Modell in ihren Zukunftsstrategien berücksichtigen? 

In diesem Artikel werden wir das VUCA-Modell untersuchen und jeder der vier Säulen klare Definitionen geben. Danach untersuchen wir zwei sehr unterschiedliche Fallstudien, um zu verstehen, wie viel Impulse Führungskräfte von VUCA aufnehmen sollten.

 

Unsere VUCA-Welt verstehen

Um das VUCA-Modell bewerten zu können, müssen wir zunächst seine Bedeutung klarstellen. Der Begriff wird oft als Sammelbegriff verwendet, wenn in Wirklichkeit jedes der vier Säulen von VUCA eine individuelle Betrachtung erfordert. Hier werden wir Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit separat definieren, um ihre individuellen Bedeutungen klarzumachen.

Volatilität: Eine Lektion in Bereitschaft

Volatilität ist die Säule von VUCA, die am schwierigsten vorherzusagen ist. Dies weist auf Instabilität oder unerwartete Änderungen der externen Umgebung hin, die sich nachteilig auf ein Unternehmen auswirken. Ein Beispiel für Volatilität wären Ölpreisschwankungen aufgrund einer Naturkatastrophe. Der beste Weg, um das Problem der Volatilität anzugehen, besteht darin, dass Führungskräfte das Vorbereitetsein auf unvorhersehbare Events in ihr Geschäft einbauen. Dies erfordert die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen für die Widerstandsfähigkeit ihres Unternehmens. Dies kann beispielsweise in Form von leichter Überbesetzung von Talenten oder Bevorratung von Lagerbeständen geschehen.1

Unsicherheit: Die Macht der Information

Unsicherheit ist die Komponente einer VUCA-Welt, die am klarsten definiert ist. Im Falle von Unsicherheit kennen wir oft die grundlegende Ursache und Wirkung des Ereignisses, aber nicht den möglichen Zeitplan oder dass es mit Sicherheit stattfinden wird. Der beste Weg für Unternehmen, sich auf Unsicherheit vorzubereiten, besteht darin, in Daten zu investieren. Daten werden dazu beitragen, statistische Modelle zu erstellen, um die Ergebnisse im Zusammenhang mit dem variablen Ereignis vorherzusagen. Anhand dieser Wahrscheinlichkeiten und Risiken können Führungskräfte dann den rationalsten Weg vorwärts auswählen.

Komplexität: Spezialisten den Weg weisen

Bei Komplexität gibt es eine Vielzahl von Variablen, Risiken, Chancen und Bedrohungen, die isoliert voneinander verstanden werden können. Ihr Volumen macht sie jedoch überwältigend und Führungskräfte haben oft Schwierigkeiten, den Überblick über die Geschwindigkeit und das Volumen der Veränderungen zu behalten. Bei Komplexität erfordert eine umsichtige VUCA-Führung die Einstellung von Spezialisten, die dann in jedem Fachbereich die Verantwortung übernehmen können.

Mehrdeutigkeit: die Lösung in Experimenten finden

Bei der Ambiguität (auch Mehrdeutigkeit genannt) besteht die Gefahr, dass Führungskräfte auf dem Modell der “Kompetenzstufenentwicklung” in den “unbewusst inkompetenten” Quadranten versetzt werden.2 In diesen Fällen wissen die Führungskräfte nicht, was sie nicht wissen. Es wird falsche Intuition verwendet, was um jeden Preis vermieden werden sollte. “Unbekannte Unbekannte” machen eine Analyse und Intuition nahezu unmöglich. Deshalb sind Experimente der Schlüssel. Durch Versuch und Irrtum (auch Trial & Error) und das daraus resultierende Lernen und die Entwicklung eines langfristigen Ansatzes können Führungskräfte und Organisationen Chancen nutzen und Gefahren minimieren.

Nachdem wir nun alle Säulen des VUCA-Modells verstanden haben, gehen wir zu einigen Beispielen aus der Praxis über. Was macht also erfolgreiche VUCA-Führung aus? 

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VUCA-Führung: Im Regen tanzen lernen

VUCA-Führung erfordert die Fähigkeit, sich anzupassen, kontinuierlich zu lernen und die sich neu ergebenden Situationen optimal zu nutzen. Diese Grundsätze sind auch die Grundlagen einer agilen Führung, die Führungskräfte dazu ermutigt, kontinuierliches Lernen und Anpassungsfähigkeit in die DNA ihrer Organisationen einzubetten. 

Um die Grundsätze effektiver VUCA-Führung herauszukristallisieren, haben wir zwei wichtige Beispiele aus der Praxis untersucht, die aufzeigen, wie Organisationen dank agiler Arbeitsweisen auf die VUCA-Welt reagiert haben.

 

Lenovo: Schutz und Angriff des chinesischen Computergiganten

Lenovo ist ein hervorragendes Beispiel für eine effektive Führung in der VUCA-Welt. In den frühen 2000er Jahren hatte das Unternehmen Schwierigkeiten, Marktanteile ausserhalb Chinas zu gewinnen. Ein Beispiel zeigt, dass die chinesische Firma schlecht auf die Entwicklungen auf dem Markt reagiert hatte: Im Jahr 2008 verkaufte Lenovo seine Smartphone- und Tablet-Sparte für 100 Millionen US-Dollar, um die Sparte nur ein Jahr später für 200 Millionen Dollar zurückzukaufen.

Bis 2014 hatte Lenovo jedoch Apple in China überholt und 14,2 % des Smartphone-Marktes übernommen. Wie kam es zu dieser Trendwende? Laut einer Studie im International Journal of Current Research hängt der Erfolg von Lenovo von zwei Prinzipien ab, die als effektive VUCA-Führung gelten.3 Dies sind:

1. Die “Schutz- und Angriffsstrategie” ausbalancieren

Lenovos “Schutz und Angriff” (Englisch: protect and attack) wird mit einem Boxer verglichen, der sein Gesicht mit einer Hand abschirmt und gleichzeitig seinen Gegner mit der anderen schlägt. Lenovo schützt die Bereiche, in denen es bereits einen Vorsprung hat, und greift Bereiche an, in denen Wachstumspotenzial besteht. Nachdem Lenovo mehr als 34 % des chinesischen Marktes für PCs erobert hatte, konzentrierte sich die Firma darauf, seine Dominanz aufrechtzuerhalten und gleichzeitig das Wachstum auf dem Smartphone-Markt im Auge zu behalten. Dieser Ansatz hat ihnen geholfen, beträchtliche Marktanteile zu gewinnen, und hat dazu beigetragen, das Wachstum angesichts eines zunehmend wettbewerbsorientierten und destabilisierten VUCA-Umfelds zu fördern.

2. Die nächste Generation von VUCA-Führungskräften aufbauen

Lenovo ist fest davon überzeugt, Führungskräfte so zu fördern, dass diese über Grenzen und Kulturen hinweg denken und angesichts der VUCA-Bedingungen erfolgreich sein können. Aus diesem Grund wechselt das Unternehmen alle drei Jahre die Jobs seiner wichtigsten Führungskräfte, um sicherzustellen, dass die Führungsetage anpassungsfähig und vielseitig bleibt. Dies fördert Eigenverantwortung und Rechenschaftspflicht und ermöglicht es Führungskräften, eine funktionsübergreifende Sicht auf das Unternehmen zu behalten, anstatt Silos zu bilden. Der Ansatz von Lenovo zur VUCA-Führung kann in 5 Ps unterteilt werden, die auch als “Lenovo Way” bezeichnet werden.

  • Planung: “Wir planen, bevor wir uns verpflichten.” 
  • Performance: “Wir halten, was wir versprechen.” 
  • Priorisierung: “Wir priorisieren das Unternehmen.” 
  • Practice (Übung): “Wir üben, uns jeden Tag zu verbessern.” 
  • Pionierarbeit: “Wir entwickeln neue Ideen.” 

Durch die Entwicklung von Führungskräften, die diese Werte verkörpern, sichert Lenovo trotz einer VUCA-Welt Wachstum und Rentabilität. Einige dieser Prinzipien stimmen genau mit denen des agilen Arbeitens überein, bei denen der Schwerpunkt auf Innovation, Kundenorientierung und kontinuierlicher Verbesserung liegt, im Gegensatz zu Hierarchien und etablierten Arbeitspraktiken traditioneller Unternehmen. 

 

Siemens Healthineers: Emotionale Intelligenz sowie technisches Know-how

Siemens Healthineers erkannte, dass VUCA-Faktoren die Leistung der Führungskräfte in Brasilien beeinträchtigten. Als dann traditionelle Ansätze nicht funktionierten, beschloss das Unternehmen, über den Tellerrand hinaus zu denken.

Anstatt sich auf die anstehenden Probleme im Markt zu konzentrieren, beschloss Siemens, sich auf die Mitarbeiter zu konzentrieren. Die Firma war der Ansicht, dass die Unternehmenskultur geändert werden muss, um Führungskräfte für eine VUCA-Umgebung effektiver zu machen, anstatt zu versuchen, die sich ändernden Marktbedingungen vorherzusagen.

Bei näherer Betrachtung stellten Siemens Healthineers fest, dass sich in ihrem brasilianischen Führungsteam eine Kultur des Individualismus und einer Silo-Mentalität entwickelt hatte, was zu einer Atmosphäre des Misstrauens und der Schuldzuweisung geführt hat. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie sich in der Vergangenheit zwar auf das technische Fachwissen ihrer Führungskräfte konzentriert hatten, dies jedoch nicht ausreichen würde, um ihr Gesundheitsgeschäft in Brasilien zum Erfolg zu führen.

Der Ansatz von Siemens Healthineers zur Lösung dieses Problems bestand aus zwei Teilen: Erstens gingen sie ihre kulturellen Probleme direkt an und erkannten die Notwendigkeit von Veränderungen und zweitens investierten sie in die Umschulung ihrer Führungskräfte.

Durch die Durchführung von Tests zur emotionalen Intelligenz bei Führungskräften und einer 360 °-Beurteilung konnten Siemens Healthineers die Lücken in den Fähigkeiten der Führungskräfte identifizieren und individuelle Entwicklungspläne erstellen, um sicherzustellen, dass diese behoben wurden. Das Ergebnis dieser Übung war, dass das Engagement der Mitarbeiter insgesamt um 45 % zunahm und die Zahl der “hoch engagierten” Führungskräfte um 139 % stieg.4

Durch den Fokus auf Soft Skills wie emotionale Intelligenz und nicht nur auf die Bewertung technischer Fähigkeiten konnte Siemens Healthineers ihre Belegschaft in Brasilien drastisch neu beleben und sie besser auf die Herausforderungen unserer VUCA-Welt einstellen.

 

Strategieumsetzung als VUCA-Erfolg

Der rote Faden sowohl bei Siemens Healthineers als auch bei Lenovo ist die erfolgreiche Umsetzung einer VUCA-Strategie. Daher ist es in dieser Phase wichtig zu überlegen, wie Unternehmen Strategien erfolgreich umsetzen können, um in einer VUCA-Umgebung erfolgreich zu sein. 

Eine erfolgreiche Strategieumsetzung kann in drei Ks unterteilt werden: Klarstellen, Kommunizieren und Kaskadieren.5 Diese sind wie folgt definiert:

Eine erfolgreiche Strategieumsetzung kann in drei Ks unterteilt werden: Klarstellen, Kommunizieren und Kaskadieren.

Forbes
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1. Klarstellen

Die Strategie muss geklärt werden, damit sie auf allen Ebenen Ihrer Organisation eine Bedeutung hat. Es ist wichtig, Ihre Strategie von grundlegenden Aussagen in fassbare Massnahmen umzuwandeln, die in Ihrer Unternehmensstruktur auf Resonanz stossen. Dadurch sichern Sie die Implementierung auf allen Ebenen.

2. Kommunizieren

Ihre Strategie muss auf allen Ebenen Ihres Unternehmens kommuniziert werden. Dies sollte interne Kommunikationskanäle wie Blogs und E-Mails umfassen, aber auch Ihre Meetings durchdringen, die möglicherweise das mächtigste strategische Instrument sind, das Ihnen zur Verfügung steht. Stellen Sie daher sicher, dass Sie Ihr Führungsteam mit einer speziell entwickelten Meeting Management Software ausstatten, um eine produktive Zusammenarbeit, schnelle Entscheidungsfindung und zeitnahe Strategieumsetzung zu gewährleisten.

3. Kaskadieren

Mit der Kaskadierung übersetzen Sie Ihr strategisches “Was” in ein taktisches “Wie”. Dies erfordert das Buy-in von Ihrem Management, das sich zur Umsetzung Ihrer Strategie in den jeweiligen Bereichen Ihres Unternehmens verpflichten muss.

 

VUCA-Modell: Eine wichtige strategische Überlegung

Nachdem wir definiert haben, was wir unter VUCA verstehen, und zwei sehr unterschiedliche Ansätze zur Führung von VUCA sowohl bei Lenovo als auch bei Siemens Healthineers untersucht haben, ist eines klar: VUCA ist eine wichtige strategische Überlegung, die einen proaktiven Ansatz erfordert. Warten, bis eine gewisse Situation auftritt, ist das Rezept für Misserfolg, da es bereits zu spät sein wird. Stattdessen müssen Organisationen VUCA-Situationen vorbeugen und Strategien entwickeln, die ihren Mitarbeitern helfen, erfolgreich zu sein. 

Dieser Prozess beginnt wie am Beispiel des Siemens Healthineer damit, sicherzustellen, dass Führungskräfte über die richtigen Bedingungen, Fähigkeiten und Schulungen verfügen, um ihre Teams zum Erfolg zu führen. Im Fall von Lenovo ist dann ein strategischer Wachstumsansatz erforderlich, der es Unternehmen ermöglicht, ihre bestehende Dominanz zu schützen und gleichzeitig neue Möglichkeiten zu nutzen. Technologie spielt auch eine entscheidende Rolle, um Organisationen zu helfen, in der VUCA-Welt erfolgreich zu sein. Durch Investitionen in Tools, die die Zusammenarbeit unterstützen und die strategische Umsetzung verbessern, ermöglichen Führungskräfte ihren Mitarbeitern, die Stürme der VUCA-Umgebung zu überstehen.

Wenn Sie aus diesen Beispielen lernen, können Sie den Ton für die VUCA-Führung in Ihrem Unternehmen angeben und trotz Unbekanntem nach Wachstum streben. Darüber hinaus sind Schritte zur Sicherstellung einer erfolgreichen Strategieumsetzung in Ihrem Unternehmen von entscheidender Bedeutung.

Möchten Sie mehr über agile Führung lesen?

1 'What VUCA really means for you’, HBR, 2014.

2 'Teaching for Learning', Martin M. Broadwell, 1969.

3 'Leadership in a VUCA world: A case of Lenovo', Das & Ara, 2014.

4 'How to lead people in a VUCA world: Lessons from Siemens Healthineers', Stillman & Aldan De Araujo, 2018.

5 'Three Cs of Implementing Strategy', Edinger, 2012.


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Robert Mitson
Robert Mitson
Über den Autor
Roberts Leidenschaft ist es, wertvolle Inhalte zu kreieren. Als English Content Specialist hilft er Führungskräften aus ganz Europa zu verstehen, wie jede ihrer Sitzungen zählt.