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Organisationskultur: Die Rolle des Vertrauens in Unternehmen

Die Organisationskultur bildet einen zentralen Faktor für Unternehmen. Dennoch läuft sie unter dem Radar zahlreicher Führungskräfte. Wo das Vertrauen jedoch eine ungemeine Bedeutung erfährt, gilt es die Kultur näher zu beleuchten.

Charles Donkor

Co-Autorin dieses Beitrags ist Cathrin Schmitz-Dräger, Managerin bei Coryzon Advisory.

 

Tesla und Uber: Was haben diese beiden Unternehmen gemeinsam? Sie sind wegen ihrer Unternehmenskultur in die Schlagzeilen geraten. Ihre Beispiele zeigen, dass die Unternehmenskultur nicht nur für den Erfolg eines Unternehmens entscheidend ist, sondern auch zunehmend in der Öffentlichkeit diskutiert wird. 

Auch wenn dies den meisten Führungskräften bewusst ist, besagt eine Studie der Duke University, dass mehr als 90 % der Führungskräfte glauben, Verbesserungspotenzial in ihrer Unternehmenskultur zu sehen. Trotzdem geben weniger als 20 % an, bereits etwas dafür getan zu haben.1 Das Bewusstsein, handeln zu müssen, ist also vorhanden. Die Unternehmenskultur ist jedoch keine Unternehmensbilanz oder -bewertung, bei welcher es ein Richtig oder Falsch und exakte Vorgaben gibt. Im Gegenteil: Sie ist vielseitig, komplex und oft auch individuell geprägt. 

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Definition: Was ist die Organisationskultur?

Die Kultur eines Unternehmens ist die Summe der Verhaltensweisen, Überzeugungen und Gedanken jedes einzelnen Mitarbeitenden. Es geht darum, was Mitarbeitende tun, wie sie etwas tun und warum sie etwas tun. Dabei ist die Organisationskultur reziprok: Die Mitarbeitenden beeinflussen nicht nur die Kultur, sondern werden auch von ihrer (sozialen) Umgebung kulturell beeinflusst. 

Das klingt plausibel und einfach – ist es jedoch nicht. Denn die Kultur besteht nicht nur aus sichtbaren, sondern auch aus unsichtbaren Elementen (siehe Abbildung 1). Es ist vor allem der unsichtbare Teil, welcher zur Komplexität der Kulturveränderung beiträgt. Denn die verborgenen Elemente müssen erst erkannt und verstanden werden, um nachhaltig an der Kultur arbeiten zu können. 

Sie bestehen aus folgenden Faktoren:

  • Beziehungen

  • Werte und Normen

  • Status

  • Einstellungen und Gefühle

  • Grundbedürfnisse der Mitglieder

 

Eisbergmodell von Edward T. Hall

Abbildung 1: Eisbergmodell von Edward T. Hall2

 

Unternehmenskultur: Vertrauen als Basisfaktor

Es gibt verschiedene Ausprägungen von Unternehmenskulturen, wie zum Beispiel Innovations-, Fehler-, Feedback- oder Compliance-Kulturen. All diesen Dimensionen ist etwas gemeinsam: Sie gründen auf einer Kultur des Vertrauens. So besagt auch ein viel zitiertes Sprichwort, dass Kultur letztlich das ist, was Menschen machen, wenn niemand hinschaut. 

Es erstaunt deshalb wenig, wenn Google-Forschende in ihrem “Projekt Aristoteles” bestätigen, dass “Personen in Teams mit höherer psychologischer Sicherheit Google seltener verlassen, dass sie eher in der Lage sind, die vielfältigen Ideen ihrer Teamkollegen zu nutzen, dass sie mehr Umsatz machen und dass sie von Führungskräften doppelt so häufig als effektiv eingestuft werden.”3 

Vertrauen führt also zu stärkeren (Arbeits-)Beziehungen und trägt zu einer gesunden Unternehmenskultur und langfristigem Erfolg bei. Es ist eine der wichtigsten Formen von Kapital, welche eine Organisation und deren Mitarbeitenden besitzt, insbesondere in unserer VUKA-Welt, in welcher eine vielfältige Belegschaft und intrinsisch motivierte Teams der neuen Norm entsprechen.


 

Wie lässt sich (gegenseitiges) Vertrauen aufbauen?

Vertrauen muss verdient werden. Dies gilt für alle Beziehungen, ob nun zwischen Kolleg*innen, zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden oder zwischen den Mitarbeitenden und der Organisation als Ganzes. Konkret zählen drei Treiber, um nachhaltiges Vertrauen aufzubauen: 

  1. Authentizität

  2. Logik 

  3. Empathie 

Menschen neigen dazu, zu vertrauen, wenn sie glauben, es mit dem wahren Ich der anderen Person zu tun zu haben (Authentizität). Ebenso braucht es dafür Vertrauen in das Urteilsvermögen und die Kompetenz der jeweiligen Person (Logik). Zudem sollten sie das Gefühl haben, dass sie und ihr Erfolg für die andere Person wichtig sind (Empathie). 

Verlorenes oder fehlendes Vertrauen kann meist auf Unstimmigkeiten in einem oder mehreren dieser drei genannten Faktoren zurückgeführt werden. So geschehen bei Tesla, wo Empathie weitestgehend vernachlässigt wurde: “Das Schlimmste war, permanent das Gefühl zu haben, dass dein Unternehmen sich überhaupt nicht für dich interessiert, dass du einfach egal bist”, sagt ein […] Verkäufer, der Tesla 2019 verlassen hat.4

Vertrauensdreieck von Frances X. Frei und Anne Morriss

Abbildung 2: Vertrauensdreieck von Frances X. Frei und Anne Morriss5

 

Es ist normal, nicht immer bei allen drei Treibern des Vertrauens perfekt zu agieren. Insbesondere in Stresssituationen, einem neuen Umfeld oder gegenüber verschiedenen Interessensgruppen (Vorgesetzte oder Angestellte) kann dies zur Herausforderung geraten. Umso wichtiger ist es aber, sich fortwährend mit den Treibern auseinanderzusetzen und sich zu vergegenwärtigen, dass Vertrauen bei der eigenen Person und der Ehrlichkeit zu sich selbst beginnt. 

Folgende Fragen sind wichtig:

  • Welche Ambitionen verfolge ich? 

  • Ignoriere ich meine wahre Begeisterung und Inspiration für etwas? Warum?

  • Erkenne ich meine eigenen Bedürfnisse und gehe ich angemessen auf diese ein? 

  • Bin ich von meiner Leistungsfähigkeit und meinen Ideen überzeugt? 

  • Behandle ich meine Kolleg*innen, wie ich selbst behandelt werden möchte?

Es ist nahezu unmöglich, nachhaltiges Vertrauen zu anderen aufzubauen, wenn man nicht sich selbst vertraut und die eigenen – womöglich verbesserungswürdigen – Muster kennt.


 

1. Authentizität – das “wahre Ich” teilen

Erfahrungen zu teilen, hat nicht nur den Vorteil, die eigene Expertise zu vermitteln, sondern zeigt auch, wie man denkt und fühlt. Dies verschafft einen anderen Zugang zum eigenen “wahren Ich”. Inauthentizität kann zwar auch ein Abwehrmechanismus sein, um sich am Arbeitsplatz zurechtzufinden und um zu vermeiden, durch zum Beispiel die Äußerung von authentischen Gefühlen schädliche Folgen zu erleiden. 

Jedoch hilft dies meist nur kurzfristig und schränkt zudem das Vertrauen und damit auch die eigene Führungsqualität ein – es entsteht ein Teufelskreis. Wenn Mitarbeitende spüren, dass Führungskräfte Wahrheiten nicht mit ihnen teilen und wenig Authentizität pflegen, führt dies ebenfalls zu einem Vertrauensverlust und weniger Offenheit. 

 


 

Authentizität spielt eine umso größere Rolle, je diverser man aufgestellt ist. Dabei gilt es zu bedenken, dass heterogene Teams generell besser Probleme lösen können.

Jedoch trifft dies nur zu, wenn das betreffende Team in der Lage ist, seine kollektiven Kompetenzen auch effektiv zu nutzen. 

Der Effekt tritt also nur dann ein, wenn die Teammitglieder sich auf Authentizität verlassen. Das heißt: Sie müssen ihre individuellen Charakter-Eigenschaften überzeugend einbringen. Dadurch erweitert das Team die Menge an zugänglichen Informationen, wodurch ein ungemeiner Vorteil gegenüber homogenen Teams entsteht.


 

2. Empathie empfinden und zeigen

Vielen leistungsstarken sowie auf Effizienz getrimmten Führungskräfte und Mitarbeitenden fällt es schwer, Einfühlungsvermögen zu zeigen. Dies kann jedoch schnell egoistisch wirken und Misstrauen schüren – insbesondere, wenn es mit mangelnder Aufmerksamkeit für Mitarbeitende gepaart ist. Es lohnt sich also, das eigene Verhalten, ob in Team-Meetings oder bilateralen Gesprächen aktiv zu hinterfragen und Interesse zu signalisieren.



 

3. Logik: Wissen innerhalb der eigenen Grenzen effektiv kommunizieren 

Zwei Dinge gehören dazu, Logik zu vermitteln: zum einen die Außenwahrnehmung und zum anderen die tatsächlich vorhandene Expertise. Sofern es nicht gelingt, komplexe Gedanken effektiv zu kommunizieren, hilft es, mit der Kernaussage zu beginnen und Argumente mit stichhaltigen Beweisen zu untermauern. Zudem sollte nur über Dinge gesprochen werden, die zweifelsfrei wahr sind. 

Aber genau letzteres gerät schnell zum Schwachpunkt, insbesondere wenn das Ego und die potenzielle Angst vor dem Gesichtsverlust ins Spiel kommen. Hier lohnt es sich, auch mal die eigene Unwissenheit zuzugeben und einen offenen Austausch zu pflegen. So erweitert man langfristig sein eigenes Wissen und schürt gleichzeitig Vertrauen. 


 

Unternehmenskultur: 5 Schritte zum Wandel

Folgende 5 Schritte haben sich für eine erfolgreiche Kulturveränderung bewährt:

  1. Formulierung klarer Narrative, warum die Kultur verändert werden soll und welchen Mehrwert dies bietet.

  2. Definition der positiven Aspekte der bereits bestehenden Kultur sowie der zu verändernden Elemente.

  3. Den Mehrwert der Veränderung den Mitarbeitenden klar aufzeigen und sie mitgestalten lassen.

  4. Mitarbeitende, welche die Kulturveränderung bereits leben, aktiv in den Wandel einbeziehen.

  5. Als Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen, den Worten Taten folgen lassen (“walk the talk”) und allem voran Vertrauen aufbauen.



 

Fazit: Organisationskultur – alles beginnt mit Vertrauen

Wenn ein Unternehmen seine Kultur wirklich verändern oder anpassen möchte, ist es unabdingbar, am verbogenen Teil des Eisbergs zu arbeiten. Dabei handelt es sich um einen komplexen Prozess, da Menschen und Emotionen im Spiel sind. Zudem verlangt der Kulturwandel ein hohes Maß an Geduld, Selbstreflexion und Ehrlichkeit. Wenn es aber gelingt, erfolgreich Vertrauen innerhalb der Organisation aufzubauen, werden die anderen unsichtbaren (und teils auch sichtbaren) Elemente des Eisbergs meist ganz automatisch zum Positiven beeinflusst. Dies wiederum sorgt für nachhaltiges Wachstum, Fortschritt und unternehmerischen Erfolg. 

Es lohnt sich also, sich mit der Organisationskultur frühzeitig auseinanderzusetzen. Hierbei tragen alle Mitarbeitenden die Verantwortung, Vertrauen zu schaffen, indem sie sich mit deren drei Treibern auseinandersetzen. Nichtsdestotrotz sind es Führungskräfte, die als gutes Vorbild fungieren, aktiv den Rahmen schaffen und das entsprechende Wissen in die Organisation tragen müssen, um den Kulturwandel anzuregen. 

Es gibt auch Unternehmen, die mit ihrer Kultur in den Medien für positive Schlagzeilen sorgen – so zum Beispiel der Sportbekleidungshersteller Patagonia. Dies passiert nicht von heute auf morgen. Wer den Mut für eine eigenständige positive Kultur hat, täglich daran arbeitet und als Führungskraft mit gutem Beispiel vorangeht, stellt sicher, dass die Kultur zu einem wichtigen Erfolgsfaktor des Unternehmens wird. 

Möchten Sie mehr über agile Führung lesen?

 

  1. Author Talks: How to gain a competitive edge with organizational culture”, Raju Narisetti, McKinsey, 2022.

  2. “Beyond Culture”, Edward T. Hall, 1976.

  3. Guide: Understand Team Effectiveness”, re:Work with Google, Google.

  4. 9 ehemalige Tesla-Mitarbeiter erzählen, was das Schlimmste an ihrer Arbeit mit Elon Musk war”, Mark Matouse, Business Insider, 2022

 5. “Begin with Trust”, Frances X. Frei und Anne Morriss, Harvard Business Review, 2020


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Charles Donkor
Über den Autor
Charles Donkor ist Gründer der Unternehmensberatung Coryzon Advisory. Er verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Unterstützung von Unternehmen bei großen Führungs- und Kulturveränderungen. Er berät vor allem Vorstände und Führungsteams in den Bereichen Führung, Teamdynamik und kulturelle Entwicklung.