Meeting Management

Gruppendynamik: Wie beeinflusst sie die Zusammenarbeit in Teams und insbesondere Meetings?

Leadership & Team Coach Stefanie Voss erläutert, wie sich verschiedene Aspekte der Gruppendynamik auswirken. Außerdem gibt sie praktische Tipps, wie sich ihre unerwünschten Effekte – insbesondere in Meetings – verhindern lassen.

Stefanie Voss

Unsere Artikel und Leitfäden zu Themen wie effektive Team-Meetings, die Rollenverteilung, eine effektive Agenda oder die Protokollierung helfen, die Meetingkultur in Organisationen generell zu verbessern. 

Die rein menschliche Seite der Zusammenarbeit, also die Wirkung von Personen aufeinander und deren komplexe Beziehungen, spielt – neben allen strukturellen Maßnahmen – auch eine wichtige Rolle. Ist alles das, was zwischenmenschlich passiert, einfach „gegeben“? Oder lassen sich diese Aspekte steuern, verändern und verbessern?  

Im Interview mit Stefanie Voss widmen wir uns den verschiedenen Aspekten der Gruppendynamik. Sie ist nach einer erfolgreichen Konzernkarriere heute als Workshop-Moderatorin, Coach und Rednerin zu den Themen VUCA, Diversity, Agilität, Leadership und Wagemut in Deutschland und international tätig. Außerdem ist sie Weltumseglerin und nennt sich selbst „Business-Piratin“ – denn unkonventionelle Konzepte fernab des „so macht man das“ sind genau ihr Ding. 

 

Was genau ist Gruppendynamik und warum ist diese wichtig?

Stefanie Voss: Unter dem Begriff Gruppendynamik verstehen wir generell alles das, was passiert, wenn Menschen miteinander umgehen und aufeinander wirken. Sind sie sich sympathisch oder nicht, lassen sie einander ausreden und hören sie einander zu, schauen sie sich in die Augen, integrieren sie einander oder separieren sie sich oder andere – alle diese Aspekte lassen sich unter dem Oberbegriff „Gruppendynamik“ zusammenfassen.

Diese kleinen und größeren, bewussten und unbewussten Beeinflussungen sind natürlich ein ganz entscheidender Aspekt, der Zusammenarbeit entweder stärken oder schwächen kann. Wir Menschen bewegen uns ja nicht individuell auf der Welt, sondern sind im permanenten Austausch mit unserem Umfeld. Als soziale Wesen sind wir voneinander abhängig.

Wir können überhaupt nicht NICHT aufeinander wirken, sondern beeinflussen uns immer gegenseitig.

Stefanie Voss
Leadership & Team Coach

Der Erfolg von Gruppen und Teams hängt also sehr maßgeblich von ihrer Gruppendynamik ab. Dabei geht es nicht so sehr um Harmonie, sondern viel eher um die Fähigkeit, die Potenziale aller Gruppenmitglieder optimal miteinander zu kombinieren.

Mal ganz ehrlich: Haben wir nicht alle bereits dysfunktionale Gruppen erlebt? Dennoch werden gruppendynamische Fragen immer noch sehr vernachlässigt. Getreu dem Motto „Es wird schon klappen“ verlässt man sich darauf, dass Menschen sich schon irgendwie zusammenraufen werden. Das kann klappen – aber es ist definitiv keine Selbstverständlichkeit. 

Die Dynamik in einem Team oder in einer Abteilung wird meist nur dann zum Thema, wenn es richtig mies läuft. Dies ist Ressourcenverschwendung, denn bei Gruppendynamik handelt es sich um einen in vielen Bereichen beeinflussbaren und steuerbaren Prozess, der wirklich erfolgsrelevant ist.

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Wie entsteht Gruppendynamik und welche Formen davon gibt es?

Stefanie Voss: Eine Gruppendynamik entsteht immer und überall dort, wo Interaktion zwischen Menschen stattfindet – also praktisch immer. Jede Form von Kommunikation gehört dazu, analog oder auch digital. Gruppendynamik entsteht selbstverständlich in Meetings, in Konferenzen, in gemeinsam genutzten Büroräumen und auch in einer Kantine. Aber auch ganz ohne persönliche Begegnung wirken Menschen aufeinander ein. 

Auch eine Mail-Korrespondenz, – zum Beispiel an einen größeren Verteiler mit einer Mischung aus Informationen, Aufgabenverteilung, Entscheidungsfragen etc. –  kann ein extrem gruppendynamischer Prozess sein: 

  • Wer schreibt? 

  • Wer steht im Verteiler? 

  • Wer reagiert wie schnell? 

  • Wer äußert sich überhaupt nicht und warum? 

In diesen (und noch viel mehr) Aspekten spiegeln sich die oft komplexen, zwischenmenschlichen Macht- und Vertrauensverhältnisse wider. 

In der Definition von Gruppendynamiken gibt es generell zwei Unterscheidungen: Zum einen wirken Menschen innerhalb einer Gruppe aufeinander. Daneben gibt es die Wirkungen, die zwischen Gruppen bzw. einer Gruppe und einer anderen Person entstehen.

 

In Meetings beeinflussen sich die Teilnehmenden gegenseitig. Was können wir als Führungskräfte oder Teammitglieder tun, um bei Entscheidungen negative Dynamiken wie Gruppendenken zu verhindern?

Stefanie Voss: Der erste – und leider oft vergessene – Aspekt in einem Team ist ganz banal der, dass wir uns alle der Gruppendynamik unter uns bewusst sind. Wenn wir Zusammenarbeit erfolgreich gestalten wollen, ist es wichtig, dass wir die Ressourcen, Fähigkeiten und das Wissen aller Menschen in unserer Gruppe optimal kombinieren. 

Je unterschiedlicher wir Menschen sind, desto mehr können wir voneinander profitieren. Das ist logisch, aber auch sehr anstrengend. Denn je unterschiedlicher wir sind, desto schwieriger wird es, sich wirklich aufeinander einzulassen. Gleich und gleich gesellt sich gern: Das ist nicht nur ein bekanntes Sprichwort, es trifft – leider – auch absolut zu. Wir müssen uns also bewusst dafür entscheiden, uns die Differenzen in Meinungen und Haltungen innerhalb unserer Gruppe zuzumuten. Erst dann entstehen die nachgewiesenen positiven Aspekte der Diversität.

Die unterschiedlichen Charakter-Eigenschaften von uns Menschen spielen in einem Meeting eine ganz besondere Rolle, weil sie unser Verhalten maßgeblich beeinflussen. Die eher extrovertierte Kollegin hat mehr Redeanteile als der eher introvertierte Kollege. Die in ihrer Muttersprache kommunizierenden Menschen können sich oft eleganter und pointierter ausdrücken als die Teamkolleginnen und -kollegen, die in einer Fremdsprache sprechen müssen. Außerdem haben wir Menschen immer eine individuelle "Erfahrungsgeschichte" miteinander. Diese kann positiv und vertrauensvoll, aber auch sehr angstvoll geprägt sein. 

Es geht darum, diese ganzen, sehr dynamischen und komplexen Wechselwirkungen im Auge zu behalten und sie so zu neutralisieren, dass alle sich kreativ und konstruktiv einbringen können. Darauf zu vertrauen, dass das „einfach so“ schon ganz gut funktionieren wird, ist aus meiner Erfahrung extrem naiv. 

 

Viele gruppendynamische Probleme lassen sich mit cleveren Moderationswerkzeugen lösen.

Stefanie Voss
Leadership & Team Coach

In meiner Teamcoaching-Praxis nutze ich dabei besonders häufig die beiden folgenden Ansätze:

 

1. Das Brain-Stomping (als Ersatz für das klassische Brainstorming):

Um Ideen zu einer spezifischen Frage zu generieren, werden alle Teilnehmenden gebeten, sich einige Moderationskarten und einen Stift zu nehmen. Alle stehen auf und gehen (am besten bei peppiger Musik) kreuz und quer durch den Raum und notieren ihre Ideen auf ihren Karten – pro Karte aber immer nur eine Idee. Dabei darf niemand sprechen, jeder arbeitet individuell. Jede notierte Idee wird direkt offen auf einen großen Tisch gelegt, so dass alle anderen sie sehen / lesen können. So entstehen immer mehr Ideen und dadurch, dass alle auch die Ansätze der anderen lesen können, befruchten sich diese gegenseitig. 

Erst am Ende einer fest vereinbarten Zeit (zum Beispiel 8 Minuten) werden alle Ergebnisse gesichtet, doppelte Ideen entfernt und dann nach Themen / Lösungsansätzen geclustert. 

 

2. Der gemeinsame Perspektivwechsel:

Bei dieser Methode wird jede Idee oder Initiative, zu der eine Entscheidung getroffen werden muss, gemeinsam aus der Pro- und der Contra-Perspektive betrachtet. 

Individuelle Meinungen spielen zunächst keine Rolle. Im ersten Schritt wird für 5 Minuten (oder länger) überlegt, warum eine Idee gut ist und was für sie spricht. Alle machen mit, alle finden Pro-Argumente. Dann wird – wieder von allen gemeinsam – in den nächsten 5 Minuten gesammelt, was die Contra-Argumente sind, was also alles gegen die Idee spricht. Auch hier sollen sich wieder alle beteiligen, unabhängig von der persönlichen Präferenz.

Erst wenn die beiden Runden beendet sind, wird der Entscheidungsprozess eingeläutet, in dem individuelle Meinungen geäußert werden dürfen. 

 

Ob man nun mit solchen speziellen Moderationsmethoden arbeitet oder nicht, ein Aspekt ist gruppendynamisch immer besonders wichtig: Wie verhält sich die oberste Führungskraft im Raum? Da sie qua Amt besonderen Einfluss hat, ist es sehr relevant, dass er oder sie sich idealerweise zurückhaltend und weitgehend neutral verhält, solange es nicht um den Entscheidungsprozess geht. In der Entscheidungsfrage ist die Führung hingegen wieder ergebnisrelevant, wenn kein Konsens vorliegt.

 

Die Meeting-Kultur ist ein Spiegel der Unternehmenskultur. Wie lässt sich diese – zum Beispiel durch Meeting-Rollen oder emotionale Intelligenz – in die richtige Richtung bringen?

Stefanie Voss: Ein Meeting ist – wie eben beschrieben – ein komplexes Zusammenspiel von Beziehungen. Damit es für alle Beteiligten produktiv verläuft, helfen gewisse Strukturen und Regeln. Sie sorgen für eine gute Vorbereitung und einen klaren Ablauf. 

Unter die absolute „Pflicht“ für ein produktives Meeting fällt für mich:

  • eine Kommunikation aller Menschen miteinander auf Augenhöhe (das ist für mich die Basis der emotionalen Intelligenz

  • ein klares Ziel für ein Meeting 

  • eine verständliche und verlässliche Struktur dessen, was besprochen und entschieden wird 

 

Als „Kür“ sehe ich eine Reihe anderer Aspekte:

  • klare Rollenverteilungen (können helfen, sind aber nicht immer zwingend erforderlich)

  • besondere Moderationstechniken (ebenfalls nur in speziellen Fällen notwendig)

  • das bewusste Vermeiden der Killerfragen (Wer hat Recht? Wer hat Schuld? Wer hat angefangen?) 

  • die konsequente Nutzung von Ich-Botschaften und die Vermeidung von Verallgemeinerungen 

  • der Einbau von Reflexionsschleifen (mehr dazu in diesem YouTube-Video

Die „Kür“-Aspekte bringen Gruppen sicherlich weiter, sollten aber erst in den Fokus genommen werden, wenn die „Pflicht“ immer und jederzeit erfüllt ist.

 

Nun werden Gruppendynamiken oft erst zum Thema, wenn etwas verkehrt läuft. Die große Frage lautet: Wie lassen sich – im Gegenteil zur Problem-Fokussierung – von Anfang an positive Dynamiken aufbauen? Ist das so überhaupt möglich?      

Stefanie Voss: Viele Menschen suchen bei Schwierigkeiten in ihrer Zusammenarbeit nach einem guten Kommunikationstraining. Das kann man machen, hat aber einen großen Haken, denn das wichtigste Fundament gelungener Interaktion ist das echte bewusste Zuhören. Die meisten Menschen sollten – und ja, das klingt provokant – viel eher ihre "Zuhörfähigkeiten" trainieren, als noch mehr Kraft in die Übermittlung ihrer eigenen Botschaften zu stecken. 

Ein ganz wichtiger, weiterer Schmierstoff für eine gelungene Gruppendynamik ist das Vertrauen: Wie gut kenne ich die Menschen, mit denen ich tagtäglich zusammenarbeite? Wie sehr verstehe ich seine / ihre Perspektiven und den individuellen Erfahrungshorizont? Ich muss meine Kolleginnen und Kollegen nicht zwangsläufig alle mögen, aber ich sollte ein gutes Gefühl dafür haben, wie sie „ticken“. Das erleichtert eine produktive Zusammenarbeit sehr.

Idealerweise gibt es in jedem Team eine engagierte Führungskraft, die sich selbst und das Team insgesamt immer wieder auffordert, die eigene Gruppendynamik zu reflektieren – und gegebenenfalls bewusst zu verändern. 

 

Für eine gute Teamentwicklung braucht es Faktoren wie Vertrauen und psychologische Sicherheit. Wie können Führungskräfte diese Faktoren in Meetings und ganz allgemein vorleben und für alle erlebbar machen?

Stefanie Voss: Jedes Team braucht eine feste, nicht verhandelbare Werte-Grundlage. Deswegen ist – gerade in schwierigen Konflikten oder bei offensichtlichem Fehlverhalten – eine klare Ansprache (und ggf. Sanktionierung) notwendig. Wenn Teammitglieder sich klar übergriffig und bewusst verletzend verhalten, muss eine Führungskraft umgehend reagieren, um den Schutz und die Sicherheit des gesamten Teams zu gewährleisten.

Noch relevanter ist das Grundvertrauen zueinander. Die Tür zum Vertrauen ist die Verletzlichkeit – denn wer sich verletzlich zeigt, vertraut darauf, von den anderen nicht sofort angegriffen zu werden. 

Eine authentische Führungskraft macht genau das, sie zeigt eben nicht nur die eigenen Stärken und Talente, sondern ergänzt ihre Selbstdarstellung auch durch die Offenlegung der eigenen Zweifel und Sorgen. Das ist die Basis, auf der Vertrauen entstehen kann.

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Stefanie Voss
Über den Autor
Stefanie Voss wird auch “Mrs. Blackbeard” genannt, die Businessfrau mit der Piratenseele. Sie ist Keynote Speaker und Business Coach, Weltumseglerin und Autorin des Buches: “Die Piratenstrategie - Leben ohne Wenn und Aber” (www.piratenstrategie.de). Ihre Vorträge und Workshops drehen sich um die Themen Führung, Kommunikation, VUCA, Diversity und Agilität. Sie wird international gebucht von DAX-Konzernen, KMUs sowie dem öffentlichen und sozialen Sektor.