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Business Judgement Rule: So verhindern entscheidungstragende Führungskräfte Haftklagen

Die Business Judgement Rule regelt, wann Entscheidungsträger*innen für Fehlentscheidungen haftbar sind. Rechstanwalt Joel Fischer erläutert Best Practices.

Joel Fischer, attorney-at-law with Bär & Karrer
Joel Fischer
Joel Fischer, attorney-at-law with Bär & Karrer

Die Business Judgement Rule regelt, unter welchen Umständen die höchsten Entscheidungsträger*innen eines Unternehmens rechtlich für unternehmerische Fehlentscheidungen haftbar sind. Diese Regelung wird häufig als unternehmerischer Ermessensspielraum bezeichnet. In der Schweiz verlangt das Bundesgericht, dass die gesamten Umstände einer möglichen Pflichtverletzung anhand der Business Judgement Rule überprüft werden. In Deutschland wurde die Business Judgement Rule im Jahr 2005 in den Paragrafen 93 des Aktiengesetzes eingeführt, und gilt auch für andere Rechtsformen wie zum Beispiel die GmbH. 

In beiden Ländern ist das Prinzip der Business Judgement Rule dasselbe: Nur wenn Geschäftsleiter*innen und Verwaltungsrät*innen (De: Aufsichtsrät*innen) gewisse Sorgfaltsregeln nicht einhalten, können sie persönlich für Fehlentscheidungen haftbar gemacht werden. Deshalb ist es zentral, dass Führungskräfte die Business Judgement Rule verstehen. Denn ansonsten setzen sie sich nicht nur grossen Haftungsrisiken aus, sondern sie versäumen auch die Chance, ihre operativen und strategischen Entscheidungen zu verbessern.

Dr. Joel Fischer, Rechtsanwalt bei Bär & Karrer, zeigt in diesem Artikel auf, was die Business Judgement Rule für Führungskräfte konkret bedeutet.

 

Business Judgement Rule: Wie können Entscheidungsträger die Risiken von Haftungsklagen reduzieren?

Die Business Judgement Rule besagt, dass die Gerichte Entscheidungsträgern bei der Überprüfung von Geschäftsentscheiden ein relativ grosses Ermessen einräumen, sofern folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • Es bestehen keine Interessenkonflikte.
  • Der Entscheid ist formal korrekt vom zuständigen Organ und unter Einhaltung aller Regularien (z.B. Zustimmungsquoren) entstanden.
  • Es ist eine angemessene Informationsbasis vorhanden, welche in einem einwandfreien Entscheidungsprozess ausgewertet wurde.

Sind diese Voraussetzungen gegeben, dann prüft das Gericht den inhaltlichen Entscheid nur mit Zurückhaltung. Andernfalls legen die Gerichte diese Zurückhaltung ab und nehmen eine strenge inhaltliche Prüfung der Entscheidung vor. Materiell am wichtigsten ist das Erfordernis der angemessenen Informationsbasis und eines einwandfreien Entscheidungsprozesses. Nachfolgend sollen diese Erfordernisse konkretisiert werden. Die folgenden Handlungsempfehlungen beziehen sich explizit auf den Verwaltungsrat, können aber in ähnlicher Form auch für Geschäftsleitungen (in Deutschland auch Vorstand genannt, deshalb existiert auch das Wort Vorstandshaftung im Zusammenhang mit der Business Judgement Rule) angewendet werden.

 

Sorgfaltspflicht und Business Judgment Rule: Wie fällt der Verwaltungsrat eine “gute” Entscheidung?

Dies ist sowohl für seinen Erfolg als auch hinsichtlich seiner Haftung eine der wichtigsten Fragen für einen Verwaltungsrat. In der Regel evaluiert der Verwaltungsrat einen Antrag der Geschäftsleitung. Teilweise wird der Antrag auch von einem Gremien-Mitglied selber vorbereitet. In beiden Konstellationen muss der Antrag vom Gremium geprüft und basierend darauf eine zweckmässige Entscheidung getroffen werden. 

Hierbei sind gewisse Anforderungen zu beachten. Aus rechtlicher Sicht ist dabei nicht primär zu fragen, ob die Entscheidung "gut" oder "erfolgreich" war, sondern, ob sie sorgfältig gefällt wurde. Es fragt sich insbesondere, welche Entscheidungsgrundlagen eingeholt und geprüft werden müssen, damit eine sorgfältige Entscheidungsfindung vorliegt. Dies ist zentral für die Haftungsprävention von Verwaltungsräten. Wenn der Verwaltungsrat gewisse Vorgaben bei der Entscheidungsvorbereitung beachtet, kommt er in den Genuss der Business Judgement Rule, wodurch sich sein Haftungsrisiko erheblich reduziert. 

Umgekehrt kann die Missachtung der entsprechenden Vorgaben den Verwaltungsrat in einem Haftungsprozess in Erklärungsnotstand bringen. Insbesondere wenn der Entscheid sich im Nachhinein als nachteilig erweist und die Unternehmung gar in finanzielle Bedrängnis gerät, ist bei Nichtbeachtung dieser Vorgaben die Gefahr, haftbar zu werden, sehr gross. Die folgenden Handlungsempfehlungen sollen helfen, die rechtlich notwendigen Anforderungen einzuhalten.

 

Strukturelle Vorgaben für den Entscheidungsprozess

Die Anforderungen an die Informationen und den Entscheidungsprozess lassen sich nicht trennen und ergänzen sich gegenseitig. So ergeben sich aus dem Entscheidungsprozess strukturelle Vorgaben zu den Aspekten, welche die Informationen abdecken sollten. Werden die folgenden Punkte beachtet, trägt dies erheblich zum Schutz vor Verantwortlichkeitsprozessen bei. 

 

1. Ausgangslage: Definition und Analyse des Problems

Das Führungsgremium sollte prinzipiell ein Verständnis der Ausgangslage haben und die konkrete Frage einordnen können. Hierfür ist es empfehlenswert, zu Beginn die entscheidungsrelevanten Fakten nochmals festzuhalten. Im Weiteren deuten eine klare Problemdefinition und Festlegung eines Ziels auf eine sorgfältige Entscheidungsfindung hin. Dabei sind folgende Fragen zu beantworten:

  • Was ist das Problem?
  • Was soll erreicht werden? Und was zeichnet eine gute Lösung aus?
  • Welche Kernfaktoren beeinflussen die Problemstellung?

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2. Auseinandersetzung mit Handlungsoptionen

Bildung verschiedener Alternativen

Es ist grundsätzlich zu empfehlen, vor einem Entscheid mehrere Alternativen zu bilden. Dadurch wird der gesamte Handlungsspielraum deutlich, und in der Abgrenzung zu anderen Alternativen treten Stärken und Schwächen der jeweiligen Variante besser hervor.

So zeigt eine empirische Untersuchung, dass die Qualität der Entscheidungen höher ist, wenn drei anstelle von zwei Alternativen gebildet werden.1 Dies wird damit begründet, dass die dritte Alternative die Vor- und Nachteile der anderen Alternativen deutlicher macht. Es sollte zum Beispiel ein Warnsignal für den Verwaltungsrat sein, wenn die Geschäftsleitung nur einen (alternativlosen) Lösungsansatz präsentiert. Dies deutet darauf hin, dass dieser eher von Nutzen für die Geschäftsleitung als für das Unternehmen ist.

Es ist umstritten, ob der Verwaltungsrat vor einem Entscheid jeweils nach verschiedenen Alternativen suchen muss. Meines Erachtens liegt in der Regel nicht alleine deshalb eine Pflichtverletzung vor, weil keine Alternativen gebildet werden. Angesichts der Rechtsunsicherheit und der Tatsache, dass die Alternativenbildung der Entscheidungsqualität zuträglich ist, ist es aber ratsam, verschiedene Lösungsansätze in Betracht zu ziehen.

Beschreibung der Handlungsoptionen

Der Verwaltungsrat sollte die wesentlichen Punkte der Handlungsoption(en) kennen. Bei wichtigen Entscheidungen sollte, wenn möglich, ein tragfähiges Zahlengerüst erstellt werden, das deren Auswirkungen zeigt. Im Idealfall sind hierbei Auswirkungen auf Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ersichtlich. Wichtig ist insbesondere die Frage, ob der Entscheid mit den finanziellen Verhältnissen des Unternehmens vereinbar ist.

Evaluation der Handlungsoptionen
  • Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken

Es sind Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken zu beurteilen und sorgfältig abzuwägen (SWOT-Analyse). Es bestehen bei der Geschäftsleitung Anreize, bei präferierten Handlungsalternativen die Nachteile und Risiken zu unterschlagen oder zu beschönigen, damit der Verwaltungsrat dem Vorschlag folgt. Es ist daher von eminenter Bedeutung, dass der Verwaltungsrat darauf achtet, dass bei allen Alternativen auch negative Aspekte und Gefahren ausreichend erörtert werden. Aufhorchen muss der Verwaltungsrat, wenn Anzeichen bestehen, dass die Präferenz der Geschäftsleitung dazu führt, dass Alternativen in den Entscheidungsunterlagen nicht mit den gleichen Ellen gemessen werden und eine Informationsverzerrung zugunsten des "Favoriten" des Managements besteht. Den Nachteilen sind die Vorteile und Chancen gegenüberzustellen. Hierbei sind sowohl der erwartete Gewinn oder sonstige finanzielle Auswirkungen als auch Soft Factors relevant.

  • Risikosteuerung

Der Verwaltungsrat sollte sich mit Möglichkeiten zur Steuerung und Begrenzung von Risiken auseinandersetzen. Wenn Risikobegrenzungsmassnahmen ergriffen wurden, kann es teilweise gerechtfertigt sein, Risiken weniger genau zu analysieren, da für deren Eintritt vorgesorgt wurde. So können etwa vertragliche Regelungen (z.B. Zusicherungen, Preisanpassungsvorbehalt, Widerrufsrecht) in einem gewissen Mass kompensieren, dass bestimmte Aspekte im Rahmen einer Due Diligence Prüfung weniger eingehend untersucht wurden. Die Risiken sind immer auch mit Bezug zu Risikofähigkeit und -appetit des Unternehmens zu betrachten. Risiken, welche die finanzielle Stabilität des Unternehmens gefährden können (z.B. Klumpenrisiken) erfordern eine eingehende Auseinandersetzung und dürfen gegebenenfalls nicht eingegangen werden.

  • Wesentliche Annahmen prüfen

Der Verwaltungsrat sollte die wesentlichen Annahmen verstehen, welche der Beurteilung zugrunde liegen. Es ist ein zentraler Bestandteil der eigenständigen Willensbildung, dass der Verwaltungsrat die Annahmen überprüft und sich hierzu eine eigene Meinung bildet. Gerade hinsichtlich der Annahmen besteht ein grosses Potenzial zur Informationsverzerrung. Insbesondere bei wichtigen Entscheidungen, die stark von Annahmen abhängen, ist es ferner ratsam, verschiedene Szenarien zu bilden und eine Sensitivitätsanalyse durchzuführen. Wenn die Annahmen angesichts der Informationen vertretbar waren, ergibt sich keineswegs bereits daraus eine Sorgfaltspflichtverletzung, dass sich die Annahmen im Nachhinein als falsch herausstellen.

 

3. Eigentlicher Entscheid

Der Verwaltungsrat sollte eine gute Gesamteinschätzung der Chancen und Risiken sowie Vor- und Nachteile haben. Er hat diese abzuwägen und gegenüberstellen. Hinsichtlich der Beurteilung der finanziellen Aspekte eines Projekts ist die Ermittlung des Net Present Values empfehlenswert. Insbesondere wenn mehrere Handlungsoptionen einander gegenübergestellt werden, sollte Klarheit bestehen, welches die ausschlaggebenden Kriterien für den Entscheid sind. Dies ist gerade bei einem Entscheidungsprozess in der Gruppe weniger selbstverständlich, als es scheint.

Vor allem unter Beweisgesichtspunkten ist eine ausreichende Protokollierung der Begründung und eine Dokumentation des Entscheidungsprozesses empfehlenswert. Wenn ein Verwaltungsrats-Mitglied zusätzliche Informationen anfordert, das Gesamt-Gremium dies aber verweigerte, so ist es für dieses Mitglied ratsam, darauf zu bestehen, dass dies protokolliert wird. So kann das entsprechende Mitglied nachweisen, dass es auf einer angemessenen Entscheidungsfindung beharrt hatte, aber vom Gesamt-Gremium überstimmt wurde. In solchen Fällen kann die Rechtslage heikel sein. Wenn ein Mitglied der Meinung ist, dass das Gesamtgremium seine Aufgaben nicht angemessen wahrnimmt, ist es empfehlenswert, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Von Vorteil ist ferner die Protokollierung von Massnahmen hinsichtlich Interessenkonflikte und der notwendigen Handlungen zur Einhaltung der formellen Vorschriften.

Dem Artikel ist eine Check-Liste beigelegt, welche von VR-Mitgliedern bei der Entscheidungsfindung benutzt werden kann. 


Kritik an der Business Judgement Rule

Die Business Judgement Rule basiert auf der Annahme, dass man die inhaltliche Entscheidung von der Frage trennen kann, ob eine angemessene Informationsbasis gegeben war, die in einem sorgfältigen Entscheidungsprozess verarbeitet wurde.  Wird Letzteres bejaht, so sollte der Richter die inhaltliche Entscheidung nur mit Zurückhaltung überprüfen. Diese Konstruktion basiert meiner Meinung auf einer falschen Vorstellung der Entscheidungsfindung. Die inhaltliche Entscheidung ergibt sich unmittelbar aus der Prüfung der Informationen in einem sinnvollen Prozess. 

Wenn der Richter den inhaltlichen Entscheid beurteilt, macht er nichts anderes als die Prüfung der Informationen im Entscheidungsprozess nachzuvollziehen. Entsprechend ist es Zufall, ob eine Frage vom Richter den Informationen bzw. dem Entscheidungsprozess oder der inhaltlichen Entscheidung zugeordnet wird. 

 

Business Judgement Rule Beispiel

So wurde etwa in einem Urteil entschieden, dass der Verwaltungsrat aufgrund von ungenügenden Informationen entschieden hat, als er ein Darlehen gewährte, obwohl die Darlehensnehmer einen Ruf "als Gauner und mehrfache Konkursiten" hatten. 

Das Schweizer Bundesgericht befand, dass der Verwaltungsrat hier zusätzliche Informationen zur Kreditwürdigkeit hätte einholen müssen und dass daher die Voraussetzungen der Business Judgement Rule nicht gegeben waren.2 Man könnte aber genauso gut argumentieren, dass der Entscheid inhaltlich unangemessen war, da der Verwaltungsrat mit der Darlehensgewährung an die vermeintlichen Gauner ein zu hohes Risiko einging. In einem anderen Fall hat das Bundesgericht denn auch genau in diesem Sinne entschieden.3 

Dieses Beispiel zeigt somit, dass die Zuteilung willkürlich ist und Rechtsunsicherheit schafft. Diese Zuteilung ist durchaus relevant, da die inhaltliche Entscheidung nur mit Zurückhaltung geprüft werden soll, während die Informationsbasis und der Entscheidungsprozess relativ streng geprüft werden. So besteht die Gefahr, dass die Schutzwirkung der Business Judgement Rule unterlaufen wird, da der Richter im Rahmen der Informationsprüfung eine strenge Prüfung vornimmt, die sich schlussendlich auch auf den inhaltlichen Entscheid erstreckt. 

Meines Erachtens wäre es daher sinnvoll, die Dichotomie von Entscheidungsinhalt und der Prüfung der Informationen aufzugeben. Stattdessen sollte der gesamte Entscheidungsprozess mit Zurückhaltung geprüft werden. Der Richter sollte prüfen, ob im Rahmen der ober aufgeführten Entscheidungsschritte die wesentlichen Informationen eingeholt und geprüft wurden und sich daraus ein inhaltlich vertretbarer Entscheid ergibt. Bei diesem ganzen Prozess sollte dem Verwaltungsrat ein ausreichendes Ermessen zugestanden werden.

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1 HAUSCHILDT JÜRGEN, Alternativenzahl und Effizienz von Entscheidungen, Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 1983, 111.

2 Urteil 4A_97/2013 (28.08.2013) Erwägung 5.3.

3 Urteil 4A_626/2013, 4A_4/2014 97/2013 (08.04.2014) Erwägung 7.3; ausführlich zum Ganzen Fischer Joel, Information und Verantwortlichkeit des VRs.


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Joel Fischer
Über den Autor
Dr. Joel Fischer ist Rechtsanwalt bei Bär & Karrer, einer führenden Schweizer Wirtschaftsanwaltskanzlei. Herr Fischer ist spezialisiert auf Banken- & Finanzmarktrecht, M&A-Transaktionen und Corporate Governance-Fragen.